"Posing and the City" Skulpturen in Linz
Tableaux vivants (lebende Bilder-nachgestellte Kunstwerke, bei Solodarstellungen auch Attitüden genannt) waren vor allem im 19. Jahrhundert ein beliebtes Gesellschaftsspiel, szenisches Gestaltungsmittel auf Theaterbühnen und im 20. Jahrhundert oft künstlerische Strategie. Zuletzt erfreuten sie sich in den sozialen Medien wieder größerer Beliebtheit. Nach berühmten internationalen Kunstwerken in „The Eye Challenge“ (2017) und Arbeiten aus der Sammlung des Linzer Schlossmuseums in „Museo“ (2022) beschäftigt sich das dritte „ Tableaux-vivants-Projekt“ der Otto-Glöckel-Schule mit der Skulptur im öffentlichen Raum. Die Auswahl für „Posing and the City“ beschränkte sich auf figurale Skulpturen des 20. Jahrhunderts in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz. Hier wiederum bilden Skulpturen aus den Nachkriegsjahren einen Schwerpunkt, da diese im Rahmen künstlerischer Ausgestaltung von Neubauten (heute: Kunst am Bau) von der Stadt damals vermehrt in Auftrag gegeben wurden.
So bekam die nach Bombentreffern 1944 zerstörte und großteils neu errichtete Otto-Glöckel-Schule in den 50er-Jahren nicht nur ihren heutigen Namen (zuvor Dürrnbergerschule) sondern auch Kunstwerke von zwei Künstlern, deren Biografien nicht unterschiedlicher sein könnten: Fritz Wotruba, der bedeutendste moderne österreichische Bildhauer dieser Zeit und ab 1938 im Schweizer Exil, sowie Josef Thorak, einer der wichtigsten Künstler des „Dritten Reichs“. Eine besondere Konstellation, die - damals sicherlich noch nicht im Fokus des Auftraggebers- die Schule zu einem idealen Ort der Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte werden lässt. Die beiden Werke wurden 2012/13 bei dem Schulprojekt „Wer bin ich?“ um ein Relief des Bildhauers und Wotruba-Schülers Gerhard Wünsche, das sich an der Außenfassade zur Pillweinstraße befindet, zu einem imaginären Dreieck ergänzt. Unter Anleitung Wünsches entstanden damals auch Schülerarbeiten. Diese zu einem Diptychon zusammengefassten Reliefs befinden sich als künstlerische Kontextualisierung gegenüber Thoraks Skulptur und thematisieren Freiheit und Gleichheit des Menschen. Für die Otto-Glöckel-Schule mit Schüler*innen aus allen Erdteilen, davon viele aus aktuellen und ehemaligen Kriegsgebieten, sozusagen ein Generalthema. Die Kunstwerke von Wotruba und Thorak waren Anstoß für Entdeckungsreisen zu anderen Skulpturen im öffentlichen Raum und führten letztendlich zum vorliegenden Projekt. Die meisten Skulpturen des gewählten Zeitraums eignen sich gut für „Posing and the City“, sind sie doch von einer traditionellen klassischen Darstellungsform geprägt. Abstraktion, verwandelte, expressive oder deformative Formen findet man - außer Ausnahmen wie Wotrubas Relief - in diesem Zeitraum noch nicht. Von der zeitgenössischen internationalen Kunstentwicklung war man weit entfernt, wollte aber in der Zeit des Aufbaus künstlerische Zeichen setzen und zugleich die Stadt „behübschen“. Aber was konnte man den Linzer Bürger*innen zu dieser Zeit schon zumuten? Hanaks „Brennender Mensch“ - in den 50er-Jahren noch vor der Studienbibliothek aufgestellt - führte in seiner expressiven, anklagenden Nacktheit schon zu einem öffentlichen Ärgernis. Auch Wotrubas Relief für die Otto-Glöckel-Schule war kein Selbstläufer. Der Künstler musste Änderungen vornehmen und Bürgermeister Koref versicherte sich vor dem Ankauf noch der Expertise Clemens Holzmeisters.
Figurale Skulpturen spielen ab den 1970er- Jahren im öffentlichen Stadtraum keine Rolle mehr. Die Suche nach einer neuen Identität als Kulturstadt führte zu einer Neuorientierung der Stadt Linz und setzte für die Werkauswahl einen passenden zeitlichen Schlusspunkt. Ein Interview mit einem Protagonisten dieser Neuorientierung - dem Plastiker Helmuth Gsöllpointner - sollte daher unbedingt diese Publikation bereichern.
„Posing and the City“ verfolgt zugleich künstlerische, kunstpädagogische und integrative Zielsetzungen. Die jungen Kunstschaffenden werden zu Regisseur*innen und Darsteller*innen und setzen sich mit Aktion, Haltung, Ausdruck und Komposition auseinander, während sie Überlegungen einer Imitation mit einfachen Mitteln anstreben. Vor allem manifestieren sich diese ausgekorenen Skulpturen im spielerischen und lebendigen Dialog einer hintersinnigen, lustvollen Begegnung mit der bildenden Kunst. Erinnerungskultur und aktuelle Debatten über belastete Denkmäler wurden zu einem wichtigen Projektinhalt. Befinden sich unter den Bildhauern doch einige Künstler, die das NS-Regime aktiv und begeistert unterstützten (Thorak, Frass) oder ihm schicksalhaft verbunden waren (Kasper, Dorn). So finden sich die Schüler*innen in einem dynamischen Prozess von Forschungsarbeit und Kunstbetrachtung über die performative und darstellende Szenerie bis zum Endprodukt der inszenierten Fotografie. Die Beteiligten haben allesamt Migrationshintergrund und Kooperationsprojekte außerhalb der Schulmauern, die sich wie hier auch mit dem eigenen Lebensumfeld beschäftigen, können viel zu einer gelungenen Integration beitragen. Wie bei den vorangegangenen Projekten wurde auf Kostümierung verzichtet, die Schüler*innen trugen ihre selbstgewählte Alltagskleidung und konzentrierten sich auf Pose und Mimik. Auf den Fotografien Zoe Goldsteins sehen wir aber nicht nur Tableaux und Attitüden, sondern zugleich sehr persönliche Porträts von Menschen in einem Lebensabschnitt, der stark von der Suche nach der eigenen Identität geprägt ist.